Diribau

Diribau oder Derubau ...

2014 ist ein Jahr tragischer Gedenkjubiläen in Europa: Erinnerungsmomente an Krieg und Verwüstung in Europa. Wir gedenken des Ausbruchs des Ersten und Zweiten Weltkriegs und der katastrophalen Folgen für die Zeit danach.

Dabei haben nationalfaschistische Ideologien Europa mental geprägt. Sie waren der Auslöser für Kriegsprotzerei und rassistische Verfolgung von Minderheiten. Auf dem Balkan wurde diese dann in den kommunistischen Diktaturen fortgesetzt. Das klingt paradox und will so nicht gleich einleuchten. Die ethnischen, religiösen und ökonomischen Implikationen sind im Krieg der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien offensichtlich geworden. Wir neigen dazu, diese als „typische“ für den Balkan zu sehen. Es gibt aber auch historische Hinweise, dass es ein europäisches Problem ist, das auf die ideologische Dominanz der nationalfaschistischen Regierungen in der Zwischenkriegszeit und im Rahmen der Kriegs- und Rassenpolitik ihre tiefen Wurzeln im Denken der Europäer auf dem Balkan hinterlassen hat. Diese werden in zuerst merkwürdig klingende Wörter im Verborgenen durch die Generationen aus einer Diktatur in die andere transferiert. Es sind Wörter, die offiziell nicht gewollt sind, aber die sich in der Erinnerung der betroffenen Menschen festgesetzt haben. Ein solches Wort ist das rumänische Wort „Diribau“, das deutsche ideologische und sprachliche Wurzeln hat. Folgendes ist recherchiert und geschrieben worden in Erinnerung an die zigtausend Jugendlichen, die zur Zwangsarbeit in Rumänien geschickt wurden, für die Erhaltung einer nationalfaschistischen Diktatur, in die sie hineingeboren wurden, die sie aber nie gewollt haben: Zum 25jährigen Jubiläum des Sturzes der Diktatur des Nicolae Ceauşescu.

Es gibt Wörter, die soziokulturelle Bedeutung im negativen oder positiven Sinne erreichen. Wörter entstehen in einem bestimmten soziokulturellen Rahmen. Der sprachliche Rahmen ist eng mit dem politischen Hintergrund verknüpft, der zur Entstehung eines solchen Begriffs relevant war. So ist es auch mit dem rumänischen Wort „Diribau“, dem in Rumänien seit 1999 eine öffentliche Bedeutung zugemessen wird. Das Wort taucht in den Lexika und Wörterbüchern bis 1999 nicht auf, obwohl es in der Umgangssprache eine feste Größe ist und einen bestimmten Zustand umschreibt. Der Begriff „Diribau“ wird von der Tageszeitung „Evenimentul zilei“ (EvZ) in die öffentliche Debatte aufgenommen und nach 1999 in unterschiedlichen Artikeln mit dem rumänischen Militär in Verbindung gebracht. So am 15. Januar 2006 in einem Artikel „Sklavenarbeit in militärischer Uniform (Sclavie in uniformă militară)“. Im Artikel bestätigen hochrangige Offiziere indirekt die „Sklavenarbeit.“ Was heißt aber in diesem Zusammenhang im modernen Sinne „Sklavenarbeit“? Dem Kontext kann man entnehmen, dass es sich um Arbeit handelt, die einem Staatsbürger mit staatlicher Macht (Polizei, Militär) gegen seinen Willen aufgezwungen wird und dem diese aufgezwungene Arbeit nicht bezahlt wird, weil er diese Arbeit entsprechend einem verordneten Gesetz kostenlos zu leisten hat. Dagegen kann der betroffene Staatsbürger keine Rechtsmittel einlegen. Damit wird in Rumänien immer wieder das Wort „Diribau“ in Verbindung gebracht.

Nun führt diese Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit dazu, dass sich auch eine Fachfrau für rumänische Sprachwissenschaft, Prof. Dr. Rodica Zafiu, in der Zeitschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes „România literară“ (2006, Nr. 40) in einem Artikel „Sprachsünden: Diribau (Păcatele limbii: Diribau)“ der sprachlichen Bedeutung des Wortes angenommen hat, das sie dann in den Bereich der Umgangssprache im Sinne eines Argotismus einstuft. Im Deutschen besser bekannt als „Rotwelsch“, d.h. eine Art „Gaunersprache“, auch sachlicher als „Sondersprache einer bestimmten Gruppe und Schicht“ zu verstehen, wie uns das Wahrig-Fremdwörterlexikon wissen lässt. Ganz unbefangen weist die rumänische Sprachforscherin darauf hin, dass das Wort „Diribau“ und die dazu gehörenden Derivate zu den Argotismen gehören, die nicht in Wörterbüchern auftauchen, daher „in Form und Sinn undeutlich“ sind.

Da mag einer wie ich sofort Einspruch erheben und behaupten: In der großen Volksmasse war das Wort „Diribau“ in der kommunistischen Herrschaftszeit sehr wohl bekannt und ich war einer von zigtausend Jugendlichen, die beim „Diribau“ im wahrsten Sinne des Wortes „gedient“ haben. Und das bei einer real existierenden Militäreinheit „01766 Lehliu Gară“. Richtig ist, dass das Wort nicht in die offizielle Militärsprache Eingang gefunden hat, sondern ein fester Begriff in der militärischen Umgangssprache war. Pointiert könnte man sagen: Da das Wort „Diribau“ immer wieder mit dem rumänischen Militär in Verbindung gebracht wird, muss man annehmen, dass dieses Wort zur militärischen Sprache gehört und in diesem Rahmen eine Art Geheimwort ist, das dann doch irgendwie zu einem festen Begriff in der rumänischen Umgangssprache wurde. Herkunft und Zusammenhang bleiben zuerst offen. Das mag wohl der Grund sein, warum Rodica Zafiu in ihrem Artikel den Begriff „Diribau“ unter die rumänischen „Sprachsünden“ einordnet. Die Metapher „Sünde“ deutet an, dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn dieser Begriff keinen Eingang in die rumänische Sprache gefunden hätte. Die Volkssprache orientiert sich bekannterweise nach anderen Kriterien als die der modernen rumänischen Sprachhüter. Kurz: Das Wort „Diribau“ ist seit 1941 ein fester Bestandteil der rumänischen Volkssprache und deutet auf eine Gruppe von diskriminierten Menschen hin, die von der zuständigen Regierung zu Zwangsarbeit oder modern interpretiert Sklavenarbeit gezwungen wurden. Dass dieses Wort auch mit „Batalion disciplinar“ in Verbindung gebracht wird, deutet auf den militärischen Hintergrund hin, mit dem „Diribau“ unzertrennlich verbunden ist. Daher: Das für manche Ohren unangenehm klingende Wort hängt sehr wohl mit der rumänischen Geschichte seit den 1940er Jahren zusammen und hat eine sprachpolitische Dimension. Tatsächlich hat das Wort einen deutschen Inhalt, auf das das abschließende „bau“ hinweist. Bevor wir das Rätsel um dieses Wort lösen, möchte ich Sie, liebe Leser, auf eine kurze biografische Reise mitnehmen, die dem Wort „Diribau“ einen Inhalt gibt.

Wie bereits angedeutet, ist mir das Wort „Diribau“ aus meiner Zeit in Rumänien, konkret 1976/77 in unangenehmer Erinnerung. Erlauben Sie mir, kurz ins Sprachphilosophische abzuschweifen.

Es ist ein bemerkenswertes Phänomen des menschlichen Gehirns sich über Worte an längst Erlebtes in der Weise zu erinnern, dass das in der Vergangenheit Erlebte plötzlich aktuell wird. Ein Wort ruft angenehme oder schöne Bilder hervor, die dann unsere aktuellen Gefühle genau so bestimmen. Du liest ein Wort wie „Diribau“ und plötzlich empfindest du Trauer, tiefe Trauer. Aber was bestimmt deine Trauer? Es sind die Bilder, die du beim Wort „Diribau“ gleich einer Galerie mit deinem „inneren Auge“ fühlst. Eigentlich eine Meisterleistung deines Gehirns, wie auch immer dies funktioniert. Du kannst nun über deine Gefühle sprechen so, als ob du über Zahnschmerzen sprichst und dich darauf verlassen, dass der Leser dir folgen kann, weil er deine Schmerzen nachvollziehen kann. „Diribau!“. Durch dies Wort wirst du zurückversetzt in den Lauf deines Lebens, obwohl du im Jetzt lebst. Es sind die Bilder von „damals“, die dich in deine Vergangenheit zurückversetzen. Du reihst die Bilder aneinander und hoffst, dem Leser die Türe zu einer Welt zu öffnen, die er so nicht erlebt hat, aber vielleicht Ähnliches gehört hat und dich „verstehen“ kann. Wer einmal beim Zahnarzt war, weiß was Zahnschmerzen sind. Du brauchst nicht die Zahnschmerzen zu „erklären“, es reicht, wenn du sagst: „Ich habe Zahnschmerzen“ und jeder weiß, was du meinst. Bei einem Wort wie „Diribau“ ist das anders. Es gibt keine gemeinsame Erfahrung wie in einer Zahnarztpraxis, die uns von Kindheit bis ins hohe Alter begleitet.

Das Leben in einer Diktatur ist von existenziellen Schmerzen getragen, die nicht jeder so erlebt hat. Können Worte eine Art von Brücke zwischen Schreiber und Leser sein? Kann ein Wort wie „Diribau“ existenzielle Gefühle von Mensch zu Mensch transportieren? Vielleicht.

 

Zuerst wollen wir den geschichtlichen Standort des Wortes bestimmen. ...

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Diribau oder "die rumänischen Moorsoldaten"
Michael Weber - Diribau.pdf
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