Ökumenischer Pilgerweg St. Jost - Fischbachtal

Logo: Entwurf Jutta Reisinger-Weber, graphische Umsetzung: Waldemar Mallek
Logo: Entwurf Jutta Reisinger-Weber, graphische Umsetzung: Waldemar Mallek
Foto: Bernd Scheider, Fischbachtal
Foto: Bernd Scheider, Fischbachtal

Die Texte verfasste Michael Weber 2008 für die Homepage des Ökumenischen Pilgerwegs St. Jost - Fischbachtal: http://www.st-jost.fischbachtal.de/


 

 Pilger

„Man muss wie Pilger wandern, frei, bloß und wahrlich leer; viel sammeln, halten, handeln, …  macht unser Gang nur schwer.“ (Gerhard Tersteegen, 1738)  

 

Liebe Pilgerfreunde,  

es gibt zahlreiche Weisheitssprüche über den Sinn des Lebens. Soweit wir einen Sinn in unserem Leben suchen, stoßen wir auf die Frage: Wer bin ich? Die Antwort finden wir in der Selbsterfahrung, im Nachdenken über uns selbst und über die Welt, in der wir leben. 

Beim Nachdenken begeben wir uns auf eine besondere Reise, auf der wir uns finden wollen. Und wir finden uns auf einem „Pilgerweg“ durch das Leben. Dieser Weg verschafft uns Abstand zum alltäglichen Leben, damit wir das in uns entdecken, „was uns unbedingt angeht“ (P. Tillich), m. a. W. was uns Sinn gibt fürs Leben. Manche Pilgerfreunde suchen nicht gezielt, sie sind „dann mal weg“. (H. P. Kerkeling) nach Santiago de Compostela. 

Nicht so weit führt unser Pilgerweg im Fischbachtal. Der Ausgang ist eine ehemalige alte Kapelle im Wald, gebaut vor 1400 und St. Jost geweiht. Er ist uns viel näher als der große Apostel und Herrenbruder St. Jakobus. Seine Vita lässt uns daran erinnern, dass es im Leben mehr gibt als Macht und Reichtum! Das Leben als Pilgerweg beginnt erst jenseits aller dieser vom alltäglichen Leben geprägten und berechtigten  Bestrebungen des Menschen. Und dort, jenseits allen menschlichen Treibens in der Welt, ist das zu spüren, was uns „unbedingt angeht“, das liebevolle Wirken Gottes. 

Der Pilgerweg ist zeitlich begrenzter Abstand zur Welt und intensive Nähe zu Gott, die ich alleine und in der Gemeinschaft mit Freunden, Bekannten und Gleichgesinnten finden kann. Auf dem Pilgerweg kann ich erfahren, wie gut es tut, für einen kurzen zeitlichen Abschnitt in meinem Leben, Abstand vom „vielen Sammeln, Halten und Handeln“ zu nehmen, den Ballast abzuwerfen, der meinen freien Gang doch so erschwert. Einmal „frei, bloß und wahrlich leer“ zu sein so, wie mich Gott geschaffen hat. Mich wieder als Gottes Kind neu zu entdecken, ihm meine seelischen Belastungen abgeben können: Der Pilgerweg ist der Ort für diese Befreiung, der uns den Raum schafft, uns neu zu entdecken. 

 

Tauferinnerungspfad

Die Eröffnung eines ökumenischen Pilgerwegs im Fischbachtal (2008) ist von der Vita des Hl. Jost vorgegeben: Er war als Königssohn bestimmt die Nachfolge seines Vaters anzutreten. Aber er verzichtete auf diese weltliche Macht, um unserem Herrn Jesus Christus zu dienen. Er soll die königliche Krone auf den Boden geworfen haben. Da, wo die Krone den Boden berührt hat, ist eine Quelle entsprungen. So stand das Thema „Wasser“ bei der Eröffnung im Mittelpunkt und soll für alle Pilger ein Zeichen der spirituellen Reinigung und Erneuerung sein. Somit ist dieser Pilgerweg eine reale Möglichkeit uns an die tiefe spirituelle Bedeutung der Taufe als Sakramentzu erinnern. Durch das Hl. Sakrament der Taufe wissen wir uns als Christen ökumenisch vereint und daran soll dieser ökumenische Pilgerweg erinnern. Der Pilgerweg kann daher auch als „Tauferinnerungspfad“ erlebt und zu diesem Zweck von unterschiedlichen Gruppen benutzt werden.

Der „ökumenische“ Aspekt dieses Pilgerwegs soll der Tatsache Rechnung tragen, dass es auch bei uns im Fischbachtal viele Mischehen und insgesamt über 300 römisch-katholische Christen leben. So ist dieser Pilgerweg das erste „ökumenische Projekt“ im Fischbachtal und damit auch ein besonderer Pilgerweg in die europäische Ökumene. Der Eröffnungsgottesdienst am 28. Juni 2008 wurde von den Pfarrern M. Weber (ev.-lutherisch), F.-J. Hassemer (römisch-katholisch) und St. Crisan (griechisch-katholisch) gemeinsam gefeiert.

Der Patron des Pilgerwegs ist der Hl. Jost. Damit knüpfen wir an eine alte vorreformatorische Tradition im Fischbachtal an. St. Jost ist neben St. Jakobus der Patron der Pilger, was leider in Vergessenheit geraten ist. Wie die neuere Forschung belegt, haben die kleinen St. Jost Kapellen Wallfahrtsbedeutung für die ortsansässigen Pilger gehabt, die nicht in der Lage waren, an den großen Pilgerreisen teil zu nehmen. Möglicherweise hatte auch unsere St. Jost Kapelle eine solche Bedeutung.

Wir freuen uns sehr, dass wir schon von zahlreichen Gruppen Anfragen haben, die im Fischbachtal pilgern möchten

 

Entdeckung

Von der Waldkapelle zum Pilgerweg

Der dunkle Wald um rauscht den Wiesengrund, 

Gar düster liegt der graue Berg dahinter; 

Das dürre Laub, der Windhauch gibt es kund: 

Geschritten kommt allmählig schon der Winter.   

Die Sonne ging, umhüllt von Wolken dicht,  

Unfreundlich, ohne Scheideblick von hinnen, 

Und die Natur verstummt, im Dämmerlicht 

Schwermüthig ihrem Tode nachzusinnen.   

Dort, wo die Eiche rauscht am Bergesfuß, 

Wo bang vorüberklagt des Baches Welle, 

Dort winket, wie aus alter Zeit ein Gruß, 

Die längst verlass'ne, stille Waldkapelle.   

Nikolaus Lenau (1802-1850): Die Waldkapelle

 

Nikolaus Lenau deutet es in seinem Gedicht an: Waldkapellen haben etwas Besonderes an sich! Ob sie noch benutzt werden oder nur als Ruine anzutreffen sind, von ihnen geht eine tiefe spirituelle Kraft aus. Umso mehr, wenn man sich fragt: Wer waren den die Menschen, die diese gebaut haben? Warum taten sie dies, usw.? Und so ging es mir, als ich vor fünf Jahren als Pfarrer ins Fischbachtal kam. Auf dem Siegel der Kirchengemeinde war eine „St. Jost Kapelle“ abgebildet. Zuerst las ich einige Berichte über die Kapelle. Dann wurde mir von mehreren Gemeindemitgliedern davon mit großer Begeisterung berichtet: Dort oben im Wald liegt sie, die St. Jost Kapelle. Es waren zwei Gänge dorthin nötig, um den Ort zu finden, wo diese Kapelle vermutet wurde. Kein Schild, kein Hinweis, lediglich ein Kreuz und der ehemalige Altar aus der St. Johannes der Täufer Kirche deutete darauf hin, dass hier ein sakraler Ort ist. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, aber irgendwie spürte ich eine innere Verbindung zu diesem Ort. In der Stille des Waldes fasste ich den Entschluss, diesen geheimnisvollen Ort als sakralen Ort wieder in das Bewusstsein der Fischbachtaler zu rufen. Immer hin war diese kleine Waldkapelle der älteste dokumentierte sakrale Bau – neben der Schlosskapelle St. Peter – im Fischbachtal. Die Berichte über diese Kapelle hatten auch schon meine direkten Vorgänger, Pfr. Truschel und Pfr. Seyberth beeindruckt. Ihnen ist zu verdanken, dass die Kapelle als sakraler Ort nicht völlig in Vergessenheit geriet. Pfr. Seyberth und der damalige Kirchenvorstand hat sie anhand eines Siegels verewigt und unter Pfr. Truschel wurde dort im Wald der Altar aufgebaut. Im Siegel der Ev.-lutherischen Kirchengemeinde Niedernhausen ist das Siegel mit der St. Jost Kapelle eingeprägt. Ebenfalls haben die Fahnen der Feuerwehr, der Christlichen Pfadfindern Deutschlands (CPD) und die Kerbfahne von Niedernhausen dazu beigetragen, dass die kleine Kapelle im Wald nicht in Vergessenheit gerät. So ist unseren traditionsbewussten Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, dass die ehemalige Waldkapelle wieder zum „Gesprächsthema“ geworden ist.

Bei der 750jährigen Jubiläumsfeier Niedernhausens erwirtschafteten die dort beteiligten Vereine und Privatpersonen einen stattlichen Überschuss. Es ist insbesondere dem Ortsvorsteher Ludwig Schmidt zu verdanken, dass ein Teil des dort erwirtschafteten Überschusses nun für eine Stele bei St. Jost verwendet wurde, die auf die ehemalige St. Jost Kapelle hinweist.

Es stellte sich die Frage, inwieweit wir diese sakrale und historische Stätte im Fischbachtal in eine entsprechende überregionale Aktion umsetzen können. Im Rahmen der in unserem Dekanat durchgeführten „Mitgliederorientierung“ nahm der Gedanke eines „Ökumenischen Pilgerwegs St. Jost Fischbachtal“ immer deutlichere Konturen an.

Einen großen Dank ist besonders unserem Bürgermeister, Wilfried Speckhardt, allen Kommunalpolitikern, die das Projekt unterstützen, und zahlreichen Privatpersonen auszusprechen.

 

Ökumene

Auf der 3. Europäischen Ökumenischen Versammlung (EöV3) in Hermannstadt / Sibiu (Rumänien) 2007 hat der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, ein neues Ökumene- Modell  vorgeschlagen: "Ich glaube, das Modell der Ökumene der Zukunft müsste eine Ökumene der Spiritualität, eine Ökumene des wechselseitigen Respektes und eine Ökumene des gemeinsamen Handelns sein." (s. www.ekd.de unter "Zukunft Ökumene") 

Im Vorfeld haben die Organisatoren den Weg zur EöV3 als "Pilgerweg" verstanden und somit der christlichen Ökumene in Europa mit einem alt bewährten spirituellen und von den Gläubigen aller Konfessionen neu entdeckten Gedanken einen neuen Anstoß gegeben.

Besonders in einer Zeit des friedlichen Zusammenlebens in einer multireligiösen Vielfalt in Europa ist es angebracht, dass die Christinnen und Christen sich ihren gemeinsamen spirituellen Wurzeln wieder bewusst werden. Voraussetzung für ein "gemeinsames Handeln" ist ohne Zweifel der "gemeinsame Respekt" für die spirituellen Wurzeln, die wesentlich tiefer sind, als die noch unüberbrückbaren Gegensätze. Daher sollten wir nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel" bei den gemeinsamen Wurzeln beginnen und den "Baum der Ökumene" von unten besteigen. Bis zur Krone ist es noch ein langer und mühsamer Weg, aber gemeinsam ist dieser einfacher zu pilgern. 

Ganz in diesem Sinne ist unser "Ökumenischer Pilgerweg St. Jost" im Fischbachtal gedacht, der gerade dadurch, dass er nach einem "europäischen christlichen Heiligen" benannt ist, die Voraussetzung für die Unterstützung einer "Ökumene der Spiritualität" mit sich bringt.

Ganz im ökumenischen Sinne kann der Pilgerweg in den folgenden Jahren sich über den ganzen Odenwald ausbreiten.  Die herrliche Landschaft mit den hervorragenden Wanderwegen und schönen Kirchen und Kapellen ist für einen solchen "Pilgerweg" gerdezu prädestiniert.

In der Vordereifel gibt es seit einigen Jahren einen St. Jost Pilgerweg ("Jodokusweg"). Auf der Route steht die römisch-katholische Wallfahrtskirche St. Jost im Nitztal. Dem Patron der Kirche verdankt der Pilgerweg seinen Namen. (s. www.vordereifel.de)   

 

In Hessen gibt es ähnliche  "Ökumenische Pilgerwege": s. www.ekhn.de/spiritualität/pilgern  und www.elisabethpfad.de 

www.Kloster-Germerode.de und www.bonifatius-route.de

 

Empfehlenswerte Literatur:

Paul Martin Clotz, Unterwegs mit Gott - Ökumenische Pilgerwege, Gießen 1998.

Manfred Gerland, Meine Seele erhebt den Herrn - Eine evangelische Pilgerreise zu Maria, Leipzig 2007. 

(Weitere Informationen zum Hintergrund und Tradition der Pilgerwege-Bewegung s. www.oekumenischer-pilgerweg.de)